
EU-Medizinprodukteverordnung (MDR): Was eHealth-Unternehmen wissen sollten
Unternehmen mit Digital-Health-Lösungen sind Innovationstreiber in der Gesundheitsbranche. Damit unterliegen sie aber auch komplexen Vorschriften. Eine der wichtigsten ist die Medizinprodukteverordnung (Medical Device Regulation, MDR) – vor allem für die Einführung digitaler Healthtech der EU. Dieser Blogartikel gibt einen Überblick über die wichtigsten Informationen und Herausforderungen der MDR sowie Tipps, was eHealth-Unternehmen bei der Entwicklung digitaler Medizinprodukte beachten sollten.
Aktuelle Entwicklung und Bedeutung der Medizinprodukteverordnung
Mit der Digitalisierung des Gesundheitswesens gehen neue Regularien zum Schutz der Patientensicherheit einher. Im April 2017 wurde die EU-Medizinprodukteverordnung verabschiedet, seit Mai 2021 gilt sie in vollem Umfang.
Ein Grund zum Aufatmen: Am 7. März 2023 wurde eine Verlängerung der Übergangsfristen beschlossen. Für Medizinprodukte, deren Zertifikat oder Konformitätserklärung vor dem 26. Mai 2021 ausgestellt wurde, wird die Übergangsfrist je nach Klassifizierung bis spätestens zum 31. Dezember 2028 verlängert.
Die MDR hat erhebliche Auswirkungen auf die Medizintechnikbranche. Vom Aufwand einmal abgesehen, bietet sie auch klare Vorteile: Durch die Kenntnis der Vorgaben und die Implementierung vertrauensbildender Prozesse in den Software- und Hardware-Entwicklungszyklus können Unternehmen sicherstellen, dass ihre Produkte diese Standards erfüllen und konform bleiben. Gleichzeitig steigern sie das Markenbewusstsein, ihre Wettbewerbsfähigkeit und die Glaubwürdigkeit bei potenziellen Kunden.
Was ist die EU-Medizinprodukteverordnung?
Die EU-Medizinprodukteverordnung (Medical Device Regulation, MDR) ist eine Verordnung der Europäischen Union (EU). Als europäisches übernationales Regelwerk stellt die MDR strenge Anforderungen an die Sicherheit, die Qualität und das Risikomanagement im Zusammenhang mit Medizinprodukten.
Hinweis: Die MDR ist von dem Medizinprodukte-Durchführungsgesetz (MPDG) zu unterscheiden, das die EU-Medizinprodukteverordnungen um nationale Vorgaben ergänzt und das deutsche Medizinproduktegesetz (MPG) ablöst.
Was regelt die europäische Verordnung über Medizinprodukte – und für wen?
Die Verordnung regelt die Zulassung, Inverkehrbringen und Überwachung von Medizinprodukten in der EU durch unabhängige Prüfstellen und Regulierungsbehörden. Durch die Festlegung einheitlicher Standards und Anforderungen für verschiedene Märkte zielt die MDR darauf ab, die Sicherheit, Qualität und Wirksamkeit von Medizinprodukten zu verbessern und mehr Transparenz zu schaffen.
Neben Herstellern, Importeuren und Händlern von Medizinprodukten in der EU sind die neuen Vorschriften auch für beispielsweise Fachkräfte für Compliance oder Qualitätsmanagement relevant.
Was ist ein Medizinprodukt?
Die MDR definiert ein Medizinprodukt (https://eur-lex.europa.eu/eli/reg/2017/745/2020-04-24?locale=de) als
- ein Instrument, einen Apparat, ein Gerät, eine Software, ein Implantat, ein Reagenz, ein Material oder einen anderen Gegenstand,
- das für Menschen bestimmt ist und
- allein oder in Kombination mindestens einen medizinischen Zweck erfüllen soll.
Erfüllt Ihre App oder Ihr Wearable zum Beispiel einen medizinischen Zweck wie die Diagnose, Überwachung, Behandlung oder Linderung von Krankheiten oder Behinderungen, gilt es wahrscheinlich als Medizinprodukt und unterliegt der MDR.
Beispiele für digitale Medizinprodukte
Für digitale Medizinprodukte kursiert ein breites Spektrum an Begriffen und Definitionen. Nicht jede medizinische Software oder Hardware ist automatisch ein Medizinprodukt.
Zu digitalen Medizinprodukten gehören unter anderem:
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Digitale Gesundheitsanwendungen (DiGA) wie digitale Therapeutika (DTx) oder Schlaf-Apps
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Digitale Pflegeanwendungen (DiPA) wie Senioren-Tablets oder Gedächtnistraining-Apps
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Wearables mit Sensoren wie Fitnesstracker oder Brustgurte
DiGA bezeichnen Anwendungen niedriger Risikoklassen, die medizinischen Zwecken dienen und vom Patienten selbst genutzt werden können.
DiPA bezeichnen Anwendungen, die in der Pflege eingesetzt werden und die Pflegeprozesse unterstützen oder verbessern. Beide Anwendungsklassen müssen in der EU seit dem 21. Januar 2021 ein besonderes Zertifizierungsverfahren durchlaufen, um als Medizinprodukt anerkannt zu werden und auf dem Markt zugelassen zu werden.
Medizinische Software wird grundsätzlich in zwei Kategorien unterteilt:
- Software als Medizinprodukt (Software as a Medical Device, SaMD)
- Software als Teil eines Medizinprodukts (Software in a Medical Device, SiMD)
SaMD umfassen Stand-alone-Software, die auf nichtmedizinischen Geräten wie Smartphones, Tablets oder Wearables nutzbar ist, z. B. Apps zur Verbesserung der Schlafqualität oder des Blutzuckerspiegels.
SiMD bezeichnen Embedded-Software, die Teil eines Medizingeräts ist.
Die folgende Abbildung veranschaulicht den Prozess der Klassifizierung.

Produktklassifizierung in der EU vs. den USA
Sie wollen ihre SaMD auch in den USA vertreiben? Die MDR gilt nur für den EU-Markt, der US-amerikanische Gesundheitsmarkt wird durch die Food and Drug Association (FDA) reguliert. Dadurch gelten andere Bestimmungen – zum Beispiel zur Produktklasse.
In der EU (MDR) erfolgt die Klassifizierung in vier Klassen (I, IIa, IIb und III) und basiert auf der Zweckbestimmung (intended purpose) sowie den potenziellen Risiken der jeweiligen Medizinprodukte. Die Zweckbestimmung bezeichnet die vorgesehene Verwendung laut Herstellerangaben, Gebrauchsanweisung, Werbe- oder Verkaufsmaterial und klinischer Bewertung.
In den USA (FDA) wird SaMD in die drei Klassen I, II und III eingeordnet. Die Einordnung basiert auf den Kontrollen der Auswirkungen und der Funktionalität, die für den Nachweis der Sicherheit und Wirksamkeit erforderlich sind.
Was ändert sich durch die MDR im Vergleich zur alten Richtlinie?
Die MDR hat mit der Richtlinie über In-vitro-Diagnostika (IVDR) die alten Medizinprodukterichtlinien (MDD, AIMD und IVDD) abgelöst:
Alte Vorgaben | Neue Vorgaben |
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Richtlinie über Medizinprodukte (93/42/EWG, Medical Device Directive bzw. MDD) | EU-Verordnung über Medizinprodukte (2017/745, Medical Device Regulation bzw. MDR) |
Richtlinie über aktive implantierbare Medizinprodukte (90/385/EWG, Active Implantable Medical Devices bzw. AIMD) | |
Richtlinie über In-vitro-Diagnostika (98/79/EG, In-vitro-Diagnostic Device Directive bzw. IVDD) | Richtlinie über In-vitro-Diagnostika (2017/746, In-Vitro Diagnostic Medical Devices Regulation bzw. IVDR) |
Die IVDR definiert die Voraussetzungen, die In-vitro-Diagnostika wie Laborgeräte in der EU erfüllen müssen. Durch die Änderungen der MDR und der IVDR gelten strengere Vorgaben für Hersteller und Beteiligte.
Die wichtigsten Neuerungen der MDR-Verordnung:
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Erweiterte Definition eines Medizinprodukts
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Einführung einer einmaligen Produktkennung (Unique Device Identifi, UDI)
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Strenge Überwachung nach dem Inverkehrbringen (Post-Market Surveillance)
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Benennung einer für die MDR-Compliance verantwortlichen Person
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Neue Produktklassifizierung nach Risiko, Kontaktdauer und Invasivität
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Strengere klinische Nachweispflicht für implantierbare Medizinprodukte und Medizinprodukte der Klasse III
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Strengere klinische Bewertung von Medizinprodukten der Klasse IIa und der Klasse II
Welche Auswirkungen hat die MDR auf die Entwicklung von Digital-Health-Lösungen?
The MDR places stricter requirements on the development and distribution of digital medical devices. As a result, many companies will have to adjust their planning, revamp processes, or invest more time and money in their projects.
Risk management, intended use and compliance
Die MDR stellt strengere Anforderungen an die Entwicklung und den Vertrieb von digitalen Medizinprodukten. Viele Unternehmen müssen dadurch ihre Planung anpassen, Prozesse neu aufrollen oder mehr Zeit und Geld in ihre Projekte investieren.
Eine der größten Auswirkungen auf die Entwicklung hat das Risikomanagementsystem. Es soll sicherstellen, dass die Risiken der Anwendung während des gesamten Lebenszyklus kontrolliert und minimiert werden – von der Risikoidentifizierung bis zu Maßnahmen der Risikominderung. Die MDR verlangt außerdem sorgfältige klinische Prüfungen, um die Sicherheit und Leistung des digitalen Medizinprodukts zu beurteilen. Dafür ist eine umfassende Analyse klinischer Daten notwendig.
Je nach Risiko und Verwendungszweck unterliegt jedes Produkt einem zunehmenden Maß an klinischer Bewertung, behördlicher Aufsicht und Datenanforderungen.
Unternehmenssysteme | Anwendungen für Kliniker | Wellnessanwendungen für Patienten | Diagnose- und Überwachungssysteme für Patienten | Patient-oriented therapeutic interventions |
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Plattformen für Gesundheitssysteme, Kliniken und andere Geltungsbereiche | Plattformen für Kliniker und klinisches Hilfspersonal | Produkte, die Gesundheitsdaten erfassen, speichern oder übertragen | Produkte zur Diagnose, Unterstützung von Diagnosen oder aktiven Überwachung | Produkte, die medizinische Eingriffe und Therapien ermöglichen |
z. B. klinische Verwaltungstools, prädiktive Analytik | z. B. Gesundheitsinformationstechnologie, elektronische Krankenakten, Plattformen für Telemedizin | z. B. Lifestyle- und Wellness-Apps, Aktivitäts- und Fitnesstracker, Wearables und Sensoren (nicht-klinischer Qualität) | z. B. digitale Diagnosesysteme, Wearables und biometrische Sensoren (klinischer Qualität) | z. B. digitale Therapeutika (DTx), die per Software direkt an Patienten geliefert werden, und nichtdigitale Therapeutika |
Außerdem muss eine Konformitätsbewertung erfolgen, wobei das Verfahren von der jeweiligen Risikoklasse und den Produkteigenschaften abhängt. Darüber hinaus wirkt sich die MDR auf die Produkthaftung aus: Die Verordnung verpflichtet Medizinproduktehersteller zu einer Haftpflichtversicherung, um Schadensersatzansprüche von Patienten abdecken zu können.
Typische Herausforderungen bei der Umsetzung der MDR
Gerade für kleine und mittelständische Unternehmen mit Healthtech-Lösungen kann die MDR eine Herausforderung darstellen. Auf dem Weg zur Zulassung liegen einige Stolperfallen, die die Markteinführung verzögern oder zusätzliche Kosten verursachen können.
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Durch die strengeren Vorgaben steigen die Kosten – sei es durch die höheren Anforderungen an die Dokumentation, die Systeme zur UDI-Produktkennzeichnung, die Pflicht zur Ernennung eines Compliance-Beauftragten oder der erneuten Zulassung von bereits nach MDD zugelassenen Produkten.
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Für Produkttypen wie Software oder softwareenthaltende Produkte gelten verschärfte Anforderungen: Manche Apps werden in Klassen IIa und höher klassifiziert, was eine Benannte Stelle erfordert und zusätzlichen Zeit- und Kostenaufwand verursacht.
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Ändert sich durch die neuen Vorgaben die Klasse und damit das Konformitätsbewertungsverfahren, müssen Hersteller und Beteiligte andere Anforderungen erfüllen. Das kann die Produktzulassung verzögern.
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Manche Vorgaben, etwa die Beschaffung klinischer Daten, lassen Interpretationsspielraum und werden kontrovers diskutiert.
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Die Anforderungen an die klinische Bewertung sind durch die neue MDR deutlich höher. Zum einen müssen Unternehmen umfangreichere klinische Studien durchführen. Zum anderen stellt der klinische Bericht (Clinical Evaluation Report, CER) viele Unternehmen vor eine Herausforderung.
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Zum einen bedienen nicht alle Benannten Stellen alle Fachbereiche. Zum anderen ist mit Blick auf die Rezertifizierung von bestehenden digitalen Medizinprodukten mit Engpässen in den kommenden Jahren zu rechnen.
12 Tipps für die Einhaltung der MDR bei Digital-Health-Lösungen
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Prüfen Sie, ob Ihre digitale Lösung nach der MDR als Medizinprodukt oder Zubehör für ein Medizinprodukt gilt oder ob sie anderen Richtlinien unterliegt.
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Formulieren Sie eine klare Zweckbestimmung, die der tatsächlichen Verwendung des Produkts entspricht.
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Prüfen Sie anhand der Zweckbestimmung, in welche Risikoklasse Ihr Produkt fällt, und informieren Sie sich über die damit einhergehenden Konformitätsbewertungsverfahren.
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Integrieren Sie die für Ihr Medizinprodukt geltenden Anforderungen frühzeitig im Entwicklungsprozess.
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Entwickeln Sie eine klare Risikobewertungsstrategie für die gesamte Entwicklungs- und Designphase.
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Folgen Sie der Guten automatisierten Herstellungspraxis (Good Automated Manufacturing Practice, GAMP) und stellen Sie sicher, dass die für MDR-Compliance erforderlichen Schritte in der Herstellung befolgt werden.
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Definieren Sie frühzeitig einen Prozess für die MDR-konforme klinische Bewertung Ihrer Produkte, da dieser oft mit hohem Aufwand verbunden ist.
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Überprüfen Sie regelmäßig die Konformität und Aktualisierung der Produkte.
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Prüfen Sie, ob Ihre Produktdokumentation die neuen Anforderungen erfüllt und inwiefern die technische Dokumentation überarbeitet werden muss.
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Recherchieren Sie in der NANDO-Datenbank (https://ec.europa.eu/growth/tools-databases/nando/index.cfm?fuseaction=country.notifiedbody&cou_id=276) eine verfügbare Benannte Stelle für Ihren Fachbereich und vereinbaren Sie einen Zeitplan für die Zertifizierung Ihrer Produkte.
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Achten Sie darauf, dass alle Systeme MDR-konform sind – von der klinischen Bewertung über das Qualitäts- und Risikomanagement bis zur UDI-Kennzeichnung, Post-Market Surveillance und Haftung.
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Holen Sie rechtzeitig erfahrene Partner ins Boot, die Ihre eHealth-Lösung gemeinsam mit Ihnen MDR-konform entwickeln und designen.
Fazit
Die europäische Verordnung über Medizinprodukte ist eines der wichtigsten Regelwerke für Digital-Health-Unternehmen, die ihre Anwendungen in der EU vertreiben wollen. Sie bestimmt, was als Medizinprodukt gilt, und regelt Zulassung, Inverkehrbringen und Überwachung von Medizinprodukten.
Insbesondere kleine und mittelständische Unternehmen können die strengen Vorgaben der MDR unter Druck setzen. Aufwändige Prozesse wie die klinische Bewertung oder die Post-Market Surveillance können die Markteinführung verzögern, zu Verstößen führen oder zusätzliche Kosten verursachen.
Betroffene sollten sich daher frühzeitig mit den Verordnungen vertraut machen und notwendige Systeme wie die Risikobewertungsstrategie in den Software- und Hardware-Entwicklungszyklus implementieren. Auf Healthtech spezialisierte Dienstleister unterstützen Sie bei der reibungslosen Umsetzung Ihrer Produkte.